Harte Ausbildung

Heute. Fünf Uhr morgens. Es ist so früh, dass ich die Uhrzeit als Zahlenwort schreiben kann. Das passiert nur sehr, sehr selten.

Fünf Uhr morgens also werde ich geweckt. Ich weiß nicht mehr so ganz, wie das abgelaufen ist – irgendwann habe ich jedenfalls die Augen geöffnet und blicke direkt aus dem Fenster und direkt in die Dunkelheit die mich geradezu auffordert einfach weiterzuschlafen. Ich Überlege ob ich weiterschlafen soll. Es ist Fünf Uhr Elf. Ich werde nochmal geweckt und zwinge mich irgendwie dazu, aufzustehen.

Spätestens jetzt kann ich der Frage “Ist die Pilotenausbildung eigentlich hart?” mit einem entschiedenem “ja” entgegnen. Denn allein dieser Morgen hat die Härte der Ausbildung auf ein neues Maximum gebracht. Irgendwie quäle ich mich durch die Morgenroutine sitze schließlich irgendwann am Frühstückstisch später im Auto. “Du schaffst es sicher!” Hat mir meine Mutter noch hinterhergerufen, “Du schaffst es” haben auch meine Freunde gesagt. Woher kommt wohl diese Zuversicht?Ich beschäftige mich mit dieser Frage die gesamte Fahrt über zum Flugplatz – und meine Unsicherheit zwingt mich ein wenig dazu auch darüber nachzudenken, wann ich wohl einen Nachprüfungstermin bekommen würde. Waren das motivierende Gedanken? – Gewiss nicht. Waren sie gerechtfertigt? Wer weiß.
Es ist 6.45 Uhr. Man könnte die Zeit noch immer in Zahlenwörtern ausdrücken, aber diesmal hindert mich die “Fünfundvierzig” daran es zu tun. Tatsächlich kommen wir alle Gleichzeitig am Flugplatz an. Mein Mitschüler, mein Lehrer und ich. Wir begrüßen uns “Ihr schafft das” hat der Lehrer zu uns gesagt. “Ihr schafft das” schreiben mir Verwandte über das Internet. Ein wenig macht es mir auch Mut und allein das war es Wert. Um den Mut irgendwie noch weiter in mir und auch meinem Mitschüler zu verbreiten (wer weiß, wie oft man es ihm schon gesagt hat) Nicke ich ein paar mal und sage bekräftigend “Wir schaffen das.” Der Fluglehrer muss noch Unterlagen aus dem Büro holen, wir warten so lang vor seinem Auto und bekräftigen uns gegenseitig darin, dass wir es wohl schaffen werden.
Kurze Zeit später fahren wir dann auch schon los. Auf nach Stechow, auf zur Prüfung. Draußen ist es noch immer dunkel – vereinzelt sieht man die Reste eines längst vergangenen Schneefalls. Dunkelblau der Himmel, grau und weiß die Welt, die durch ihn umgeben wird. Ich beginne zu überlegen: Soll ich die Prüfungsfragen durchgehen oder lieber einfach versuchen zur Ruhe zu kommen?
Als ich wieder aufwache sind wir schon fast da. Durch Rathenow sind wir schon durch, bald muss Stechow kommen. Folgendes habe ich erwartet:
Ein Bürogebäude, mit Portier der unsere Ankunft entgegennimmt uns eine Zimmernummer nennt und eine ungefähre Beschreibung über welche Flure und auf welchem Wege man zu diesem Zimmer käme. Wir würden dem Weg folgen und in eine Art Unterrichtsraum gelangen (aber einen modernen Unterrichtsraum mit Whiteboard und Folienstiften statt Kreidetafel und Tafelkreide) dort würden ein oder zwei Prüfer und einige andere Flugschüler (im Voraus hatte man uns berichtet, es gäbe wohl noch sechs weitere Prüflinge) auf uns warten und sich vorbereiten. Dann würden wir alle einen Fragekatalog oder so ein Tablet bekommen und unsere Aufgaben abarbeiten. Nach vier Stunden wären wir fertig und würden im Warteraum warten, bis unsere Prüfungen kontrolliert wären und wir unsere Ergebnisse und – gegebenenfalls – unsere Nachprüfungstermine erhalten würden. — So habe ich es mir vorgestellt.
Tatsächlich hingegen fuhren wir in Stechow zu einem Flugplatz, der ein wenig kleiner war als der in Magdeburg gingen in ein kleines Häusschen und trafen auf eine Gruppe frühstückender Personen. Eine davon stellte sich mir als Janina vor. Ihren Nachnamen kenne ich nicht. Janina wird unsere Prüfung abnehmen. Sie bot uns einen Caffee an, ein kleiner Hund tollte in der Küche umher.
Dann ging es in einen benachbarten Raum. Wir erhielten unsere Prüfungskataloge und einen Extra-Katalog zum eintragen unserer Lösungen. Die Prüfung begann um 9. Wir hatten vier Stunden Zeit. Für 240 Fragestellungen. Für jede Frage blieb uns also ziemlich exakt eine Minute. 60 Sekunden sind nicht viel Zeit, wenn man überlegen muss.
In jeder der sechs Kategorien (Luftrecht; Funk; Meteorologie; Menschliches Leistungsvermögen+Verhalten in besonderen Fällen; Technik; Navigation) wurden vierzig Fragen gestellt. Die Prüfung gilt als Bestanden, wenn man in jeder Kategorie mindestens 75% der Aufgaben erfüllt. Zehn Fehler pro Kategorie waren also zum Bestehen erlaubt. Mehr nicht. Anders als beispielsweise bei der Führerscheinprüfung ist es bei der Theorieprüfung zum Erwerb einer UL-Lizenz absolut legitim, sich Notizen aus dem Unterricht und Arbeitsblätter mitzubringen und zu verwenden.
Ich weiß, wie sich das anhört. So, als müsste man nicht lernen. Als könnte man sich einfach alles aufschreiben, mitnehmen und dann ablesen. Die Realität zeigt aber: Das stimmt nur bedingt. Man kann – wie in der Schule auch – maximal einen kleinen Spicker zusammenstellen auf dem man sich dann wichtige Daten wie die Grenzwerte von Lufträumen notiert oder die Transponderpflicht. Alles weitere würde nur dazu führen, dass man die meiste Zeit der Prüfung damit verbringen würde, die eigenen Aufzeichnungen zu durchwühlen und dadurch mehr und mehr in eine Spirale des Stress geraten.
Weil ich ein Schüler bin und aufgrund dessen darauf fixiert, nur das nötigste zu erreichen, was zum Bestehen notwendig war, bin ich absolut strategisch an die Prüfung herangetreten. Ich habe zunächst die Aufgaben gelöst, bei denen ich mir 100%ig sicher war, die richtige Lösung zu kennen. Die Kategorien, bei denen mir bei mindestens zehn Fragen keine Antwort aus dem Bauch heraus eingefallen ist, habe ich mir markiert, bzw aufgeschrieben und bearbeitet, nachdem ich alle offensichtlichen Fragen gelöst habe. (Die ersten zwei Kategorien Luftrecht und Funk waren infolgedessen bereits vollständig absolviert)
Im Anschluss daran habe ich dann zuerst die Kategorien vollständig absolviert, in denen mir mehr als zehn Punkte zum bestehen fehlten. Anschließend alle weiteren offenen Fragen.
Auf diese Weise wollte ich gewährleisten, dass ich selbst unter Zeitdruck alle Kategorien hinreichend vervollständigt habe, um die Prüfung zu bestehen.
Blick auf die Uhr: Es ist kurz nach elf. Blick zum Mitschüler. Wir sind beide irgendwie fertig. Was macht man mit zwei Stunden Zeit?
Wir hätten sagen können, wir wären fertig. Hätten abgegeben und wären durch. Stattdessen nutzten wir die Zeit, um den ganzen Katalog noch einmal durchzugehen. (Wenn man schon 100€ für so eine Prüfung ausgibt, dann will man da auch sicher durchkommen)
Also gehe ich noch einmal Frage für Frage durch. Lese den Fragenkatalog, prüfe meine Aussage. Rechne Kurse nach, berechne Distanzen, rechne Geschwindigkeiten und Höhen aus allen denkbaren Einheitensystemen ins metrische Einheitensystem um und umgekehrt. Am Ende haben wir gut 90 Minuten damit zugebracht, Lösungen zu “verbessern”
Dann die Abgabe. Alles ging schnell. Meine Prüfung als erstes – Bestanden. Es stellte sich heraus: Ich habe 20 Antworten nachkorrigiert. Dadurch habe ich 9 Antworten vom richtigen ins falsche geändert und 11 vom falschen ins richtige verbessert. Es hat sich also nicht wirklich gelohnt – hätte nirgendwo einen Unterschied gemacht.
In dem Moment aber ist mir alles egal. Ich habe bestanden! Ich bin ein halber Pilot, wenn man so will, ein Theoretiker, aber ein Pilot. Ich bin auf ewig davon erlöst, mir das gesamte Luftrecht zu merken, alle Wettererscheinung präzise deuten und prognostizieren zu können! Ich bin davon erlöst zu wissen, wie die Technik der Flugzeuge aufgebaut ist, die ich nicht fliege!
Klar, man kann nicht die ganze Theorie einfach so in den Wind schießen, besonders dann nicht wenn man mangels seiner theoretischen Kenntnisse nicht einmal weiß, wie schnell der Wind ist und aus welcher Richtung er kommt und welches Wetter er bringt. Die wesentlichen Aspekte der Theorie sind weiterhin hochrelevant für die Fliegerei. Das Überflüssige hingegen, also das was man im Zweifelsfall in entsprechenden Büchern oder auf Websites nachlesen kann, wird nun langsam ins Reich der Vergessenheit geraten.
Ich zu meinem Teil bin hochzufrieden, die Theorieprüfung bestanden zu haben. Das bedeutet nämlich auch, dass ich mich fortan immer, wenn ich zum Flugplatz fahre nur noch auf das eine zu konzentrieren brauche und das ist mein wunderbares Hobby, die Fliegerei.
Bis Ende diesen Jahres werde ich mich dem jedoch nicht widmen können, über die Feiertage bis Anfang Januar hat der Flugplatz EDBM geschlossen. Deshalb wünsche ich allen Leserinnen und Lesern, die ich bis dahin nicht persönlich sehe, eine besinnliche und frohe Weihnachtszeit sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr! Und natürlich einen guten Flug all jenen, die bereits Piloten sind!
Schmuel

2 Antworten auf „Harte Ausbildung“

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