BOLL – Der Reisebericht

Heute ist der Beginn einer großen Reise. Von Uetersen nach Boll macht sich ein kleines UL auf den Weg, quer durch die Republik. Welche Abenteuer werden den Weg der Piloten teilen? Eine unvergessliche Reise steht bevor, sicher bringt sie neue Erfahrungen, spannende Dinge von denen man erzählen kann.

Das tut sie in der Tat: Thomas ist heute losgeflogen, nach Magdeburg, von da an bestreiten wir die Strecke gemeinsam. Am Flugplatz in Magdeburg erwarte ich ihn schon. Meine Tasche ist gepackt, ich bin gut vorbereitet für den vermeidlich längsten UL Flug meines bisherigen Lebens. Nachdem wir die C22 beladen und betankt haben, machen wir die Flugvorbereitung für die erste Etappe. Das Wetter spielt gerade gut mit, deshalb beschließen wir die ersten Kilometer heute schon zu absolvieren. Nach einigen überlegungen wählen wir für die erste Etappe die Westernstadt Pullman city aus. Eine Besucherattraktion im Harz. Sehr authentisch wird dort die Atmosphäre des wilden Westens übertragen. Ein Flugplatz gehört dort zu dem Gelände. Piloten und Copiloten die mit dem Flugzeug anreisen, kommen zudem sehr günstig bei diesem Flugplatz weg: Statt der üblichen Landegebühr wird lediglich um eine Spende für das Kinderdorf gebeten. Der Eintritt in die Westernstadt ist zudem kostenfrei.

Der Flugplatz ist zwar nicht fern von Magdeburg, der erste Etappenschritt bringt also keinen besonders großen Vorsprung für unsere Reise, aber wir haben somit immerhin die ersten Kilometer geschafft und können am nächsten Morgen früh aufbrechen und uns an den längsten Abschnitt der Reise machen. Eine gute Idee also und Fliegen ist ohnehin immer eine schöne lohnenswerte Angelegenheit.

Ich sehe Harz am Horizont.

Bisher bin ich fliegend immer nur und ausschließlich über Flachland (teilweise auch Wattenmeer) geflogen. Das erste Gebirge, das ich jemals passiere ist also der Harz. Eine schöne aussicht und beeindruckend wie schnell sich die Perspektive und Optik ändern kann, wenn man über dem Harz – ein Gebirge mit weiß Gott nicht großem Ausmaß – fliegt. Wie es wohl sein wird, das erste mal in Alpennähe zu fliegen?

Der Flug dauert nicht lang an und ist im allgemeinen hin auch sehr kurzweilig. Als wir über der Rapbodetalsperre fliegen bemerke ich erstmals dessen Ausmaß. Ja, es ist schon etwas anderes wenn man dort unten steht am einen oder anderen Ufer und die Weite der Talsperre kaum schätzen mag. Oben in der Luft nehmen Distanzen eine neue Dimension an. Eine Entdeckung, die man bei jedem Flug über neues Gebiet ewig oft erfahren kann.

Der Flugplatz in Boll ist gar nicht so leicht zu finden. Wir überfliegen die Gegend von Pullman City und entdecken endlich den Windsack und die Landebahn. Laut Anflugkarte gilt es immer die Nordplatzrunde zu fliegen, in unserem Fall ist das die Rechtsplatzrunde, wir drehen also rechts in den Gegenanflug, rechts in den Queranflug, rechts in den Endanflug und landen. Um zum Rollweg zu gelangen müssen wir nun über die Graspiste rollen. Rollen mit einer C22 ist keine komplizierte Sache, möchte man meinen. Man steuert beim Rollen mit den Seitenrudern, die auch mit dem Spornrad gekoppelt sind, versucht halbwegs eine Spur zu halten und…… gerät in ein mosbewachsenes Loch, das Bugrad knickt aufgrund der hohen last des Motors weg, ein weiterfliegen bleibt erstmal aus.

Hmm… das reguläre Rollen läuft eigentlich anders ab… in unserem Fall endete es jedoch mit einem ungemütlichen „Wums“ als wir uns dem Boden gefühlte 20cm näherten. Zu unserem Glück überschlug sich das Flugzeug nicht. Der Motor blieb unbeschädigt, wir kommen mit dem Schrecken davon.

Thomas sucht sein Telefon, findet es, ruft seinen Kollegen an. Dieser meldet sich mit den Worten „Hallo Thomas, was braucht ihr?“ Eine sehr willkomende Haltung. Thomas beschreibt die Situation, sein Kollege organisiert einen LKW, besorgt sich Kissen vom SCU zur Polsterung und macht sich auf den Weg von Uetersen nach Pullman City. Erstaunlich unkompliziert lief das ab… während also der Kollege unterwegs ist, bereiten wir gemeinsam das Flugzeug für den Abtransport vor: Teure Instrumente wie das Funkgerät und der Transponder müssen herausgenommen werden. Genauso wie die Sitzschale und aller überflüssiger Ballast. Der Transport des Flugzeuges in den LKW wird probematisch: Mit einem abgebrochenen Bugrad lässt es sich vermutlich erstaunlich schlecht schieben.

Als wir fertig mit der Demontage waren, nehmen wir die Isomatten und legen uns unter die Tragfläche. Der LKW wird frühestens um Mitternacht hier sein können uns bleiben noch ein paar Stunden. Die Sonne versinkt hinter der Landebahn. Unser mitgeführtes Proviant: Zwei Packungen Nüsse und anderthalb Liter Wasser wird angebrochen zum Abendessen. Wir vertreiben uns die Zeit, zu erzählen haben wir ja beide viel… Schade ist schon, dass wir Boll verpassen würden. Doch kaum trügt das unsere Laune, die Zeit bis zu unserer Abholung vergeht in Windeseile. Zusammen mit dem Freund und Kollegen von Thomas demontieren wir die Tragflächen, fixieren Flugzeug und Tragflächen im Laster und fahren hinaus in die Nacht. Und was für eine lange Nacht es war. Wir kämpfen uns den ganzen Weg zurück. Von Pullman City bis nach Uetersen und kommen schließlich am Morgen des Freitag um 7 Uhr am Platz an. Schauen auf die C22: sie ist bis auf den bereits bekannten Schaden unversehrt. Lediglich die Isomatten, die wir während des Transport als Polster benutzt haben wurden in Mitleidenschaft gezogen.. Wir fahren nach Hause und legen uns schlafen. Um 14 Uhr wollen wir das Flugzeug ausladen und den Schaden genau beschauen.

 

Nach wenigen Stunden schlaf geht es wieder zum Fluplatz. Ein weiteres mal zeigt sich, wie hilfreich so ein Verein sein kann: Gemeinsam mit anwesenden Vereinsmitgliedern entladen wir die C22, indem wir den LKW in die Garage der Seilwinde für den Segelflug bewegen, das Flugzeug auf die Hebebühne ziehen und an einen in der Garage befindlichen Seilzug hängen. Dann heben wir das Flugzeug an, entlasten den LKW, dieser fährt wieder hinaus aus der Garage. Da hängt sie nun die C22. Alles was ich über ihre Aerodynamik gesagt habe muss falsch sein: Denn sie schwebt, ohne laufenden Motor, ohne Tragflächen. Ein technisches Meisterwerk, wenngleich fragwürdiger Konstruktion.

C22 ganz nackt… und schwebt dennoch!

Bei der Gelegenheit, das Flugzeug einmal so hängen zu haben beschließen wir, es gleich komplett auseinander zu nehmen. Zwei große Gründe sprechen dafür: Zunächst ist nicht klar, was der Wums beim abknickenden Bugrad für Auswirkungen auf die struktur des Flugzeugs hat. Eine gründliche Kontrolle ist also mehr als nur empfehlenswert. Außerdem wurde die C22 gebraucht gekauft in einem damals sehr fragwürdigen Zustand. Wie fragwürdig stellte sich bei genauerer Betrachtung erst recht heraus. Mein persönlicher Favorit bei unseren Entdeckungen im Themengebiet „kreative Flugzeugwartung“ war nicht mal der Vergaser, den wir zuvor schon betrachtet haben sondern die absolut kreative Idee, die Treibstofftanks mit Kaugummi zu fixieren und zu flicken. „Für irgendwas muss dieses Zeug ja gut sein“ hab ich mir oft gedacht – die Vorbesitzer hatten vermutlich den selben Gedanken.

Unsere Begutachtung des Flugobjektes ergab, dass es des Austauschs einiger Teile bedarf. Unter anderem auch der Tanks. Ein Anruf bei Comco: Die haben gerade Betriebsferien und sind erst ab Montag erreichbar. Nun gut. Inzwischen ist es Abend geworden. Den Samstag werden wir nutzen um den Hangar aufzuräumen und eine kleine Werkstadt aufzubauen. Freunde aus dem Verein sind uns dabei so behilflich wie möglich: Sogar Tische werden uns zur Verfügung gestellt. Nach einem halben Tag Arbeit am Samstag sieht die hintere Linke Ecke des Hangars, die Ecke in der unser nun vollkommen zerlegtes Flugzeug liegt, ordentlicher aus als vermutlich je zuvor.

 

Unsere Arbeit hier ist getan. Alles weitere, wird erst der Montag bringen können. Erstaunlich, wie viel Spaß wir in dieser Zeit hatten. Ja, wir haben ein kaputtes Flugzeug im Hangar („Ein kaputtes Flugzeug im Hangar haben“ hat schon fast das Potenzial einen Wortwitz darstellen zu können) aber wir haben gemeisam daran geschraubt, haben uns die Zeit vertrieben nicht mit Langerweile sondern mit Arbeit und Spaß. Haben den Verein von einer noch besseren Seite als der ohnehin glänzenden Kennengelernt. Kulminierend nur noch darin, dass wir nach getaner Arbeit zum Segelflugstart gefahren sind, ich dort nach all dem sogar noch fliegen durfte.

Die C22 schwebt auch ohne Tragfläche – so ein Segelflugzeug aber fliegt sogar ohne Motor!

Das Vereinsleben ist mir schon bekannt dort, immer mehr fühle ich mich willkommen in diesen Reihen, habe das Gefühl mich dort immer besser zu verstehen. Und das Segelfliegen sagt mir zudem auch noch sehr zu: Was mir so gefällt an dieser Sorte des Fliegens ist nicht nur die Ruhe in der Luft, das Eins sein mit der Natur, nein am meisten gefällt mir die Herangehensweise an die Fliegerei: Im SCU habe ich gelernt, dass man zum Fliegen gehen kann nicht mit der für mich sonst üblichen Motivation eines Überlandfluges, nicht mit einem definiertem Ziel, irgendwo ankommen zu müssen sondern mit der größten Gewissheit überhaupt nämlich irgendwo zu sein. Wer Segelfliegt, der macht es um des Fliegens willen. Segelfliegen ist das Fliegen um den Moment zu genießen. Das tat ich. Das tat ich unverschämt oft, wurde in den Verein eingegliedert ohne Mitglied zu sein und erfahre jedes mal aufs neue, welches einmalige gegenseitige Willkommen unter Fliegern herrscht.

Was ist in den letzten Tagen geschehen? Das kaputte Flugzeug schien mir ein einschneidender Moment gewesen zu sein. Während ich aber darüber nachdenke und dies hier niederschreibe erkenne ich: Nicht der Schaden hat mich geprägt sondern die Art und Weise wie damit umgegangen wurde. Die Wärme des Vereins,die Freundschaft der Fliegerei ist in dieser Form so bekräftigend für mich gewesen, dass ich mit voller Gewissheit sagen kann, das ich in der Fliegerei ein seelisches Zuhause gefunden habe.

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