Fliegen heißt Warten

Im UL-Forum einer Plattform für Ultraleichtpiloten, Schüler und Interessenten wird hin und wieder über das Verhalten von Segelfliegern im Flugbetrieb und in der Platzrunde behandelt. Die Funkmeldungen sind unpräzise. Sie halten den Flugbetrieb auf. Es erweckt den Eindruck, dass Motorflieger und Segelflieger sich nicht gut verstehen. Mich selbst haben die Segelflieger nie wirklich gestört. Nach dem heutigen Tag erwische ich mich immer wieder dabei, zu überlegen ob ich selbst auch mal einer werden will.

Für Irgendwas muss die ganze Luft ja gut sein. Über uns und um uns herum ist so viel Luft! Wir nutzen nur einen sehr kleinen Teil davon: Ein bisschen atmen wir sie ein, sehr viel mehr verpesten wir sie mit Schadstoffen die wir mit Unschuldsmiene über tausende Kraftwerke, Autos und Flugzeuge (ups) in die Atmosphäre pumpen. Aber wenn die Luft eine Heimat bieten kann für Vögel und Schmutz, kann sie dann nicht auch uns eine Heimat sein?

Heute war mein erster Tag am Flugplatz Uetersen. Wie wird der Platz wohl aussehen, wie groß der Betrieb sein, welche neuen aufregenden Menschen werden mir begegnen? All dies sind fragen, die ich mir nicht gestellt habe als ich mich selbst mehr oder minder wach aus meinem Gästebett bei Thomas zuhause gequält habe. Morgens beschränkt sich mein Denkvermögen auf wenige, Lebenserhaltende Verfahren. Gerade ausreichend, um ins Bad zu finden und sich irgendwie wach aussehen zu lassen. Beim Tee zum Frühstück spüre ich langsam, wie meine Gedanken langsam aufwachen. Eben obige Gedanken laufen mir durch den Kopf, während ich frühstücke.

Thomas selbst ist seit vielen Jahren schon nicht mehr am Segelflugverein tätig. Durch sein langjähriges Wirken dort bekam er jedoch einen ausgesprochen günstigen Hangarplatz, kennt viele Leute die noch immer im Verein tätig sind und hat schon das ein oder andere Mitglied kennengelernt. Wir brechen auf zum Flugplatz, in der Ahnung dass der Zeitplan noch immer identisch ist mit dem, den Thomas kennt. Früh am Platz aufschlagen, das Wetter schauen, die Flugzeuge zum Start bringen, gegebenenfalls die Seilwinde Holen und den Flugbetrieb starten. Als wir ankommen sind wir die ersten und einzigen dort. Ist das Wetter zu schlecht? Hat sich die Gruppe schon aufgelöst?

Zum Glück nicht, die Zeiten haben sich nur verschoben. Die ersten Vereinsmitglieder erscheinen am Platz. Ich werde vorgestellt. Freundliche Gesichter. Der ein oder andere hat schon von mir gehört. Als Thomas damals erzählte, er habe da so einen Blog gelesen und sich gedacht: “Mit dem Flieg ich zum Bodensee” hat so manch einer die Hand vor den Kopf geschlagen. Wenn man so darüber nachdenkt verständlich. Auch in meinem Umfeld habe ich mir damals so einige Meinungen anhören müssen, dass ich in zwölf Jahren Schulbildung doch mindestens ein mal gehört haben müsse, dass fremde Menschen aus dem Internet meist nicht wirklich “einfach nur nett” sind. Thomas macht da definitiv den Unterschied.

Die wenigen Vereinsmitglieder die erschienen sind beginnen zu überlegen: Es sind nicht viele Leute da. Die Flugschüler sind alle im Urlaub. Lohnt es sich, die Flugzeuge rauszuholen? Es wird Lang diskutiert. Vorläufiges Ergebnis: Es wird gewartet. Gewartet, wie sich das Wetter entwickelt. Derweil der andere Verein bereits einen Entschluss gefasst hat und anbietet auch die Flugzeuge dieses Vereins zu schleppen. Nach einigem Hin und Her werden dann also doch die Flugzeuge aus dem Hangar geholt und mit zwei Autos nacheinander zum Start gezogen. In Schrittgeschwindigkeit: Denn eine Person läuft mit und hält eine Flügelseite hoch, sodass sie nicht auf dem Boden schleift.

Während der Segelflugverein sich also auf den Start des Flugbetriebs vorbereitet, befassen Thomas und ich uns mit der C22. Diese steht auseinandergebaut in einer Ecke des Hangars. Die Flügel der C22 lassen sich abklappen, dadurch nimmt sie erheblich weniger Fläche ein. Die Montage der Flügel braucht kaum Zeit. Thomas zeigt mir die Verfahrensweise, durchaus zu meinem Erstaunen: Die Flügel werden an dafür vorgesehene Rohre gesteckt und mit Fokker Nadeln fixiert. Fertig. Es folgt die Vorflugkontrolle. Viele parallelitäten zu meinem Schulungsflugzeug, der C42 sind erkennbar. Kaum verwunderlich, ist die C22 doch der Vorgänger der C42.

Wir beginnen mit ein paar Flügen in der Platzrunde. Thomas will mir zeigen, wie viel in der Platzrunde so los ist: Und tatsächlich. An einem tendenziell flugunfreundlichen Tag wie heute sind mehrere Maschinen in der Platzrunde. Zu meinem Erstaunen funktioniert alles Reibungslos. Ein Paradebeispiel für perfekten Flugfunkverkehr bietet sich am Flugplatz Uetersen. Der Flugleiter übernimmt hier lediglich die Rolle einer Begleitung des Flugbetriebs. Eben jene Funktion, die er auch erfüllen soll. Nicht mehr und nicht weniger. Er beschränkt sich auf das mindeste und es funktioniert optimal. Ich bin beeindruckt.

Nach einszwei runden in der Platzrunde sprechen wir mit dem Flugleiter ab, dass wir am Segelflugstart landen dürfen. Dieser liegt so weit vom Motorflugstart entfernt, dass Segelflug und Motorbetrieb parallel zueinander ungestört betrieben werden können.

Angekommen am Segelflug werde ich kurz vorgestellt und bekomme relativ bald Aussicht darauf, selbst mal mitfliegen zu dürfen. Einfach so. Während ich also warte, auf meinen Start, beobachte ich den Betrieb. Aus einer solchen Nähe habe ich ihn noch nie sehen können. Klar, bei EDBM gibt es auch Segelflieger und oft überschneidet sich deren Betrieb mit meinen Flugstunden. Und doch habe ich etwas derartiges nie erlebt. Die Flugzeuge reihen sich auf, machen ihre Vorflugkontrolle und warten auf ein Windenseil, welches mit einem Auto von der Startwinde zur Startposition gefahren wird. Dort wird das Seil mit einer Sollbruchstelle ausgestattet und an das Flugzeug gekoppelt. Anschließend hebt ein Starthelfer eine Flügelhälfte an, sodass die Tragflächen parallel zum Boden stehen. Er hebt eine Hand als Startzeichen, die Winde zieht an, sobald das Seil straff ist deutet der Starthelfer nach vorn, begleitet das Flugzeug bis es genügend geschwindigkeit hat um die Tragflächen selbst aufrecht zu halten und der Segler bewegt sich in die Luft. Von unten sieht es sehr friedlich und unproblematisch aus, wie es im Flugzeug selbst dann sein wird, werde ich heute noch erfahren.

Ein Fluglehrer hat mich eingeladen, in einem zweisitzigen Segelflugzeug vorn zu sitzen und den Flugbetrieb aus Position und Perspektive des Piloten erleben zu können. Vorher wird mir erklärt wie der Fallschirm funktioniert, den jeder Flugzeuginsasse tragen muss. Die Segelflugzeuge sind wesentlich schwerer als die Ultraleichtflugzeuge. Ein Gesamtrettungssystem wie dort üblich wäre für Segelflieger nicht umsetzbar. Im zweifelsfall springt man also raus aus dem Flugzeug. Weiterhin wird mir erklärt, worauf vor dem Flug geachtet werden muss. Es ist ähnlich der Vorflugkontrolle am Motorflugzeug. Das Gefühl in so einem Flugzeug zu sitzen stellt einen deutlichen Unterschied zu dem dar, was ich bisher kannte: Klar, die Instrumente sind mir bekannt, auch wenn dort das metrische Einheitensystem verwendet wird – anstelle der total praktischen Angabe in Fuß und nautischen Meilen, dafür aber km/h als horizontale Geschwindigkeit und 1000 Fuß pro Minute als vertikale Geschwindigkeit – ist die dahinter befindliche Logik durchaus identisch zu der im Motorflug. Ein Unterschied ist, dass das Variometer nicht nur Analog sondern auch elektrisch in Form eines Piepvariometers. Dieses erzeugt ein akustisches Signal, wenn das Flugzeug eine Aufwärtsbewegung [Piep piep piep]¹ oder eine Abwärtsbewegung macht [piuuuuuuuuuuuup]¹  Das Elektrovariometer erfüllt dabei einen praktischen zweck: Im Flugbetrieb hat man meist keine Zeit auf die Instrumente zu schauen. Viel wichtiger ist, dass man die Kollision mit anderen Dingen vermeidet, die da im Himmel ihre runden drehen. Dass man also die wichtigste Information – rauf oder runter – akustisch vermittelt bekommt vereinfacht den Flug enorm.

Mit all den theoretischen Kenntnissen im kopf gilt es nun also an den Start. Die Kabine kommt mir Enger vor als in der C42. Das ist sie auch. Die Piloten sitzen im Segelflugzeug meist hintereinander. Der Fluglehrer sitzt hinter mir, ich habe die Füße an den Pedalen für das Seitenruder und die Hand am Steuerknüppel. Meine Intention war mitzufühlen, welche Ruderausschläge im Start und im Reiseflug notwendig sind. Ich bin etwas aufgeregt.

Mit einem mal geht es los. Drei Sekunden lang habe ich das Gefühl, nicht Atmen zu können. Mit einer sagenhaften Geschwindigkeit wird das Flugzeug beschleunigt. In diesen drei Sekunden, von Null auf Hundert. Es trifft mich wie ein Schlag. “Ach du Schande” hör ich mich sagen, als ich mich wieder besinnen kann “Ist das cool!” Die Momente kurz nach dem ersten Start. Die werde ich wohl nie vergessen. Es war der Hammer. So viel kraft, so viel Höhe in so kurzer Zeit! Beeindruckend, schlichtweg beeindruckend! Bei etwa 300 Metern Höhe klinken wir uns aus. Es beginnt die Jagd nach Thermik. Wir versuchen unser Glück, der Fluglehrer lässt mich ein paar kurven fliegen nach viel zu kurzer Zeit sind wir wieder am Boden.

Das war der stärkste Start, den ich je erlebt habe. Ich erinnere mich zurück an meinen ersten Flug in einem UL. Damals schon war ich überweltigt von der Kraft die dahinter stand. Dies aber ist ein völlig neues Level für mich gewesen. Eine beeindruckend Reise in eine bisher völlig unbekannte Welt.

Den ganzen Tag verfolge ich heute noch den Flugbetrieb. Höre bei Gesprächen mit, bin noch immer total Fasziniert von dieser Erfahrung. Am Abend fliegen Thomas und ich mit der C22 Richtung Hamburg. Die Stadt bietet einen wunderbaren Vorteil: Durch die Alster und die Elbe gibt es dort viele Möglichkeiten zum Notlanden, man kann also bedenkenlos (nicht gedankenlos!) über der Innenstadt von Hamburg fliegen. Eine neue Erfahrung. Hamburg ist eine Kontrollzone. Eingelassen werden nur Flugzeuge, die sich vorher am Funk melden (Ein Flugfunkzeugnis ist dafür erforderlich) und einen Transponder an Bord haben, womit das Flugzeug eindeutig identifizierbar für die Controler am Boden ist, die den Flugverkehr überwachen. Das UL wird koordiniert. An der Elbe entlang über Pflichtmeldepunkte geht es dann an die Alster und über die Innenstadt. Eine einzigartige Perspektive für mich: Alltag für Thomas.

Mit diesem Ausflug endet der heutige Tag. Es geht zurück zum Flugplatz, beim dortigen Restaurant essen wir noch Currywurst und lassen den heutigen Tag ausklingen. Auf der Terrasse sitzend, mein Abendessen genießend, denke ich doch nur an all das zurück, was ich diesen Tag erlebt habe. Und dann, auf einmal fällt mir auf, dass ich keine Fotografien für meinen Blog gemacht habe. “Kein Problem” meint Thomas “Fliegen wir morgen halt nochmal über die Alster”

Casual Life.

 

¹Klang der Aussprache ähnlich.

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